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Ausland Russischer Präsident

Putin klagt ARD an – "Sie schüchtern Deutsche ein"

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Wladimir Putin hält die Razzien bei Nichtregierungsorganisationen und Stiftungen für richtig
Quelle: AFP
Zwischen aggressiver Argumentation und dreister Gelassenheit: Präsident Putin verteidigt im ARD-Interview vor seinem Deutschlandbesuch die Razzien bei NGOs. Außerdem attackiert er deutsche Medien.

Der russische Präsident Wladimir Putin gibt nicht besonders gerne Interviews. Doch wenn er sich schon den Fragen stellt, geizt er nicht mit rhetorischen und psychologischen Mittel, um seine Position zu verteidigen. Vor allem ein Gespräch mit einem westlichen Journalisten scheint er wie einen Kampf wahrzunehmen – mit dem Ziel, sich durchzusetzen. Putin stellt gerne verblüffende Gegenfragen, wechselt zwischen aggressiver Argumentation und dreister Gelassenheit, mit der er seine Version der Ereignisse darstellt. Dann wieder verschanzt er sich hinter vorbereiteten Zahlen.

Dieses ganze Arsenal kann man am Freitagabend um 22 Uhr in der ARD sehen, wenn das Interview von Putin mit dem WDR-Chefredakteur Jörg Schönenborn ausgestrahlt wird. Der russische Präsident verteidigte im Interview die landesweite Überprüfung der Nichtregierungsorganisationen (NGO), die in Russland gerade stattfinden. Laut russischen Menschenrechtlern ist es die größte Überprüfung seit dem Ende der Sowjetunion. Bei der Konrad-Adenauer-Stiftung wurden Rechner beschlagnahmt, die später zurückgegeben wurden.

„Sie schüchtern die deutsche Öffentlichkeit ein“, sagte Putin am Freitag in dem Interview mit Blick auf deutsche Berichte über die Menschenrechtslage in Russland. Putin verteidigte das Vorgehen russischer Behörden: „Ordnung muss sein, es darf kein Chaos zugelassen werden.“ Die Kritik an Durchsuchungen bei deutscher Stiftungen in Russland wies Putin zurück: Bei diesen Aktionen und dem dahinter stehenden Gesetz gehe es nur darum zu erfassen, welche Stiftungen Geld aus dem Ausland erhalten.

„Darf denn unsere Gesellschaft nicht wissen, wer wofür sein Geld bekommt?“, fragte Putin, ließ dann aber erkennen, dass eine Unterstützung von Oppositionsgruppen durch das Ausland nicht gewünscht sei. Zwar brauche „Russland eine starke Opposition“, sagte Putin. Aber: „Das heißt nicht, dass diese Opposition sich aus dem Ausland finanzieren muss.“

Demokratische Fortschritte angepriesen

Das Vorgehen der Behörden hängt mit einem neuen Gesetz zusammen, wonach NGOs, die eine Finanzierung aus dem Ausland erhalten, sich als „ausländische Agenten“ registrieren müssen. Das Gesetz „verbietet ja nichts, dieses Gesetz schränkt nichts ein und lässt niemanden dicht machen“, sagte Putin im Interview. Er verglich es mit einem Gesetz, das in den USA seit 1938 gilt und behauptete, dass US-Behörde mit russischen NGOs ähnlich umgehen würden. „Das ist kein Novum, das wir uns haben einfallen lassen“, sagte er. Man wolle in Russland nur wissen, wer das Geld aus dem Ausland bekommt und wofür es ausgegeben wird.

Putin pries demokratische Fortschritte Russlands, etwa dass die Registrierung von Parteien erleichtert und die direkten Wahlen der Gouverneure wieder eingeführt worden sei. Allerdings erwähnte er nicht, dass er selbst wenige Tage zuvor ein Gesetz unterschrieb, wonach russische Regionen direkte Gouverneurswahlen wieder abschaffen dürfen oder dass die neuen Parteien sich bei den Wahlen nicht zu Blöcken zusammenschließen dürfen.

„Dass wir uns eindeutig für Demokratie entschieden haben und dass wir uns keinen anderen Entwicklungsweg vorstellen, ist offensichtlich“, sagte Putin. Es sei aber „auch eine Tatsache“, dass „bestimmte Standards, die in den einen Ländern zur Anwendung kommen, nur schwer angewendet werden können in anderen Ländern“.

Waffenlieferungen an Syrien stoppen

Angesprochen auf die Situation in Syrien forderte der russische Präsident, Waffenlieferungen an die syrische Opposition zu stoppen. Laut der Zeitung „New York Times“ habe die Opposition 3500 Tonnen Rüstungen und Munition in letzter Zeit erhalten, sagte Putin. „Das muss gestoppt werden“, erklärte er.

„Es gibt doch völkerrechtliche Normen, nach deren Maßgabe Waffenlieferungen an die Gruppierungen, die die Situation in dem einen oder dem anderem Land auf bewaffnetem Wege destabilisieren wollen, unzulässig sind.“ Die Lieferungen von russischen Waffen an die Armee von Baschar al-Assad verteidigte er dagegen als legitim. „Man sagt uns immer wieder, Russland liefere Waffen an Assad. Aber es gibt keine Verbote für Waffenlieferungen an die amtierenden legitimen Regierungen“, sagte Putin.

Wirtschaft wichtiger als Menschenrechte

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Er machte wie so oft deutlich, dass für ihn die wirtschaftlichen Beziehungen Priorität vor den Menschenrechten haben. „In vielen Fragen haben wir Meinungsverschiedenheiten, aber bezüglich grundlegender Fragen glauben wir, dass man dort richtig handelt“, sagte Putin, als er zur Wirtschaftspolitik und russischen Währungsreserven gefragt wurde. Russland vertraue auf den Euro. Aktuell hält das Land 40 Prozent seiner Währungsreserven in Euro.

Putin ärgere sich nicht darüber, dass die EU Russland in die Lösung der Zypern-Krise nicht rechtzeitig einbezogen habe. „In gewissem Sinne freue ich mich sogar darüber, denn das hat gezeigt, wie inkonsistent und wie unzuverlässig die Einlagen bei westlichen Banken sind“, sagte er. Das Anzapfen der Einlagen russischer Bürger sei zwar ungerecht. Allerdings hoffe er darauf, dass die Betroffenen nun ihr Geld in die russischen Banken bringen werden. „Je mehr Sie ausländische Anleger in Finanzinstitutionen ihren Ländern anzapfen, desto besser ist es für uns“, sagte er.

Am Sonntag wird Putin zusammen mit der Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) die Messe in Hannover eröffnen. Russland ist Partnerland der Messe und hofft, dass es zusätzliche Investitionen bringt. Allerdings wird Putin auch unangenehme Momente nicht vermeiden können. Merkel will das Thema der Durchsuchungen bei den deutschen Stiftungen und NGO ansprechen.

Kontroverse über Putins Besuch

Gegen den Besuch Putins wollen die Grünen am Montag in Hannover demonstrieren. Grünen-Chef Claudia Roth griff den Präsidenten Putin schon vorher scharf an. „Mit Demokratie hat die Lage in Russland nichts mehr zu tun, man erlebt dort den Despoten Putin“, sagte Roth der „Welt“.

Roth zog Parallelen zur UdSSR: Wenn das Gesetz gegen Stiftungen in Russland als „Agentengesetz“ bezeichnet werde und es dort ein „Hochverratsgesetz“ sowie ein „Propaganda-Verbot für Schwule und Lesben“ gebe, verweise dies „auf den Sprachgebrauch der alten Sowjetunion, auf die Zeiten von Stalins Verfolgungen und dem Gulag“.

Roth verlangte Visa-Einschränkungen für russische Beamte: „Die Bundesrepublik sollte als Reaktion auf den Umgang Russlands mit deutschen Stiftungen die Visa-Freiheit für die 18.000 russischen Dienstpass-Inhaber innerhalb der EU stoppen“, sagte Roth. Jene Leute seien „Vertreter des repressiven Regimes“.

Ganz anders sieht das Visa-Thema die SPD. Ihr Fraktionsvize Gernot Erler sagte der „Welt“, Deutschland sollte „die Kräfte stärken, die für eine Modernisierung Russlands eintreten, und deshalb innerhalb der EU in der Frage der Visa-Liberalisierung mit Russland nicht weiter auf der Bremse stehen“. Die Durchsuchungen bei deutschen Stiftungen, so Erler weiter, seien „sicher nicht hilfreich“ gewesen.

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