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Forderung nach mehr Waffen für die Ukraine Heftige Kontroverse nach SPIEGEL-Gastbeitrag

Drei Verteidigungspolitiker von SPD, Grünen und FDP fordern im SPIEGEL deutlich mehr deutsche Waffen für die Ukraine – und stoßen damit auf großen Zuspruch wie zugleich auf scharfe Kritik in den eigenen Reihen.
Kampfpanzer Leopard 2 (im Bundeswehrdepot Karlsruhe): Begehrte Ware

Kampfpanzer Leopard 2 (im Bundeswehrdepot Karlsruhe): Begehrte Ware

Foto: Marco Dorow / Bundeswehr

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Mit ihrer Forderung nach deutlich mehr Waffen für die Ukraine haben die drei Bundestagsabgeordneten Kristian Klinck (SPD), Sara Nanni (Die Grünen) und Alexander Müller (FDP) die Debatte über Rüstungslieferungen in das Kriegsgebiet neu entfacht – und eine Kontroverse in den Ampelreihen ausgelöst.

In einem Gastbeitrag für den SPIEGEL hatten die drei Verteidigungspolitiker am Sonntag dafür geworben, dass Deutschland der Ukraine mehr militärisches Gerät liefert – auch zulasten der Bundeswehr. Um in den Truppenbeständen entstehende Lücken rasch zu schließen, müsse die Rüstungsindustrie angekurbelt werden, schreibt das Ampeltrio. »Unter dieser Voraussetzung kann und sollte das Fähigkeitsprofil der Bundeswehr in der derzeitigen kritischen Lage temporär hinter die Durchhaltefähigkeit der Ukraine zurücktreten. Denn das Überleben der Ukraine ist im deutschen sicherheitspolitischen Interesse«, heißt es im Text.

Führungsrolle Deutschlands gefordert

Besonders in den Reihen der SPD löste der Beitrag Unmut aus. »Die Verfasser gehen von der Prämisse aus, dass der Krieg noch lange andauern wird. Aber das darf man nicht hinnehmen«, sagte der SPD-Außenpolitiker Ralf Stegner dem SPIEGEL. »Der Krieg muss schnell beendet werden – und dafür sind nicht in erster Linie Waffen gefragt, sondern diplomatische, humanitäre und ökonomische Initiative«, betonte Stegner. Hier müsse Deutschland eine Führungsrolle übernehmen – während es bei Waffenlieferungen »im Teamplay« besser aufgehoben sei.

Zudem kritisierte Stegner die Forderung nach einer raschen Steigerung der Rüstungsproduktion. »Die Rolle der Rüstungsindustrie sollte eine sehr begrenzte sein. Einen Rüstungswettlauf darf es nicht geben«, betonte der Sozialdemokrat, der zugleich abrüstungspolitischer Sprecher seiner Fraktion ist.

Dem Vernehmen nach war die Irritation über den Vorstoß des Trios in der SPD-Fraktionsspitze groß. Der Sozialdemokrat Klinck sagte dem SPIEGEL am Montag, er sei »in konstruktivem Austausch« mit der Fraktionsführung.

Lieferung macht »echten Unterschied«

Zuspruch erhielt Klinck von seinem Fraktionskollegen Michael Roth. Er unterstütze die Forderung nach einem langfristigen Plan zur dauerhaften militärischen Unterstützung der Ukraine, sagte der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses im Bundestag dem SPIEGEL. »Gerade die Lieferung moderner westlicher Waffen – auch aus Deutschland – macht einen echten Unterschied«, so Roth.

Die Argumentation, die etwa im Kanzleramt und im Verteidigungsministerium vertreten wird, wonach Waffenlieferungen aus Bundeswehrbeständen nicht zulasten der eigenen Verteidigungsfähigkeit gehen dürften, wies Roth zurück und unterstützte die Argumentation des Gastbeitrags. »Die Kolleginnen und Kollegen haben völlig recht: Bündnis- und Landesverteidigung sowie die Unterstützung der Ukraine sind kein Gegensatz. Im Gegenteil: Derzeit kämpft die Ukraine auch für unsere Sicherheit und die unserer Nato-Verbündeten«, betonte der SPD-Politiker.

Rolle der Rüstungsindustrie umstritten

In den Reihen der Grünen wird die Forderung nach einer verstetigten Waffenhilfe für die Ukraine breit geteilt. Aber ein Punkt im Gastbeitrag ruft auch bei Grünen Skepsis hervor: die Rolle der Rüstungsindustrie.

»Der Beitrag der Abgeordneten zeigt klar auf, dass wir bei der Waffenhilfe für die Ukraine mehr Möglichkeiten nutzen können und müssen«, sagte der Außenpolitiker Max Lucks dem SPIEGEL. »Aber die Rüstungsindustrie darf nicht im Glauben gelassen werden, dass die Produktionskapazitäten für alle Zeiten so hoch bleiben wie jetzt und Deutschland für sie zum Schlaraffenland wird.«

Panzerhaubitze 2000: Zehn Stück davon hat Deutschland bisher an die Ukraine geliefert

Panzerhaubitze 2000: Zehn Stück davon hat Deutschland bisher an die Ukraine geliefert

Foto: Michael Kappeler / dpa

In der FDP hingegen fand der Appell für mehr direkte Waffenlieferungen großen Beifall. Er sei »genau richtig«, sagte die Verteidigungspolitikerin Marie-Agnes Strack-Zimmermann dem SPIEGEL. »Die Landes- und Bündnisverteidigung beginnt nämlich jetzt und bereits in der Ukraine«, betonte die Vorsitzende des Verteidigungsausschusses im Bundestag. Im Kanzleramt und im Verteidigungsministerium würden jedoch »nicht alle verstehen, dass das Material jetzt gebraucht wird«, so Strack-Zimmermann.

Kanzleramt: »Aussagen zur Kenntnis genommen«

Das Bundeskanzleramt wies den Vorwurf der zögerlichen Waffenhilfe erneut zurück. Ein Sprecher von Olaf Scholz (SPD) verwies auf Aussagen des Kanzlers vom Sonntag, wonach Deutschland bereits sehr viele Waffen liefere – es aber auch darum gehe, dass es keine Eskalation des Krieges gibt. »Wir haben die Aussagen aus dem parlamentarischen Raum zur Kenntnis genommen«, hieß es am Montag schmallippig zum Vorstoß des Ampeltrios.

Im Verteidigungsministerium sieht man kaum Spielraum mehr für weitere Lieferungen aus Truppenbeständen. »Bei der Abgabe aus Beständen der Bundeswehr sind wir an die gerade noch vertretbare Grenze gegangen«, sagte ein Sprecher von Ministerin Christine Lambrecht (SPD). Die Bundeswehr dürfe nicht weiter geschwächt werden.

Positiver als die Regierung reagierte die Opposition auf den Impuls der Ampel-Verteidigungspolitiker. Unionsfraktionsvize Johann Wadephul (CDU) sprach gegenüber dem SPIEGEL von einer »begrüßenswerten Wortmeldung«. Zugleich schränkte er ein: »Abgeordnete einer Regierungskoalition werden daran gemessen, was sie in praktische Politik umsetzen. Ich bin da skeptisch.«

Zustimmung aus Kiew

In der ukrainischen Hauptstadt Kiew traf das Anliegen der drei Ampelpolitiker auf großen Zuspruch. Der ukrainische Außenminister Dmytro Kuleba teilte am Sonntagabend via Twitter den Link zum Gastbeitrag.   Die Verfasser hätten »absolut recht« mit ihrer Forderung nach maximaler militärischer Unterstützung für sein Land. »Eine gut ausgerüstete Ukraine ist die beste langfristige Investition in die Sicherheit Europas«, schrieb Kuleba.

Womöglich hat Kuleba schon bald Gelegenheit zum persönlichen Dank für die Initiative der Parlamentarier. Die Grünen-Verteidigungspolitikerin Nanni plant noch für diese Woche einen Besuch in der Ukraine.